Es klopft an die Tür und ich weiß, es ist ein Traum. Ich hämmere diesen Satz in die Tastatur, lösche ihn und schlage erneut drauf los: Ein Klopfen an der Tür, ein Traum. Zurück, löschen.
In der Schublade klopft ein Traum und ich weiß, es ist eine Tür. Meine Finger schmerzen, ich zerknirsche meinen Kiefer, mahle mir die ersten kleinen Körner auf der Zunge, die sich im Zahnfleisch vergraben, das ebenfalls blutet. In die Tasten zu hämmern, entgegen dem Wunsch etwas nicht zu hämmern, sondern zu schreiben, einen Satz zu schreiben ohne Schmerzen, ohne die Last all der verstaubten satzlosen Stunden, aber es ist verflucht, es ist unerträglich, mit jedem Trommeln glühen die Finger ein wenig mehr diesen weißen grellen Schmerz und meine Zähne mahlen sich eine große warme Nähe. Es ist ein Traum in der Schublade, er klopft an die Tür und ich weiß.
Ich schreibe mit Blick auf die Wand, es muss einfach sein, mit dem Rücken einem kahl möblierten Zimmer entgegen, das Zimmer mit den dreckigen Wänden, in den oberen Ecken vom Nikotin vergilbt, die Ecken, in denen Spinnweben hängen, aber ich habe nie Spinnen gesehen, Spinnen, die wahrscheinlich in den Rissen der Fassade, der Tapete, hausen, in den Nächten, wenn an der Zimmerdecke Lichter verstreichen von vereinzelten Autos, Nachtschatten, keine Spinnen wohlgemerkt und diese dreckigen Wände, wenn ich im Bett liege, von allen Orten gleichermaßen entfernt und auf den Schreibtisch schauen kann, vom Dunkel der Nacht verhängt, der Schreibtisch knarrt ganz leise, leise, wie all die Geräusche in der Nacht, scharf zerschneidend den aufkommenden Schlaf, diese warmen sanften Wände, eine wässrige Umarmung und ich kann diese Wände sehen, wenn ich schreibe, die dreckige Tapete ohne Muster und dort alles finden, ich kann an einem rostigen Nagel, den ich dort hinein geschlagen habe, meine Gedanken aufhängen oder Postkarten, die ein paar matte Träume aufstoßen, eine Insel in der Südsee, Welcome to …, unbewohnte Bilder; ich kann ein Seil spannen von diesem Nagel zur Türklinke und von der Türklinke hinüber zum Fenster und zurück zum Nagel, ich sitze in diesem Dreieck und warten auf die ersten Zeilen der Nacht, das raschelnde Papier in der Schublade, kleine Geräusche, die wie Spinnen in mein Ohr kriechen, wenn das Papier erwacht und flüstert, die Sprache der Baumkronen, auf mich zu gekrochen kommt, über den Teppich, die Bettpfosten hinauf, die Decke und ich schreiend erwache, das Papier, das dort lauert im Schubfach, auf der rechten Seite ganz oben, das Schubfach, das ich des Nachts vernageln muss und ein Seil spannen, vom Nagel zur Tür, zum Fenster, zu beiden Bettpfosten, zum Stuhl, zur Schublade, zur Kaffeetasse am Rand des Schreibtisches, gefüllt mit Geldmünzen, zurück zum Nagel in der Wand und vielleicht ist es nur damit all die Stunden, die sich in diesem Netz verheddert haben nicht gehen können.
Liebe Frau …,
nachdem sie diesen Brief bis zu seinem Ende gelesen haben, werden sie feststellen, dass ich ein vortrefflicher Mieter bin, ich behandle ihre Wohnung mit äußerster Vor- und Umsicht und es gäbe keinen haltbaren Grund, warum sie dem Mieter, Herr …, glauben schenken sollten und mir den Mietvertrag kündigen. Ich lebe nun seit einem halben Jahr in der, von ihnen gestellten, Wohnung und bin seitdem all meinen Pflichten im Hause nachgekommen, ich habe den Flur und die Treppen gewischt, wie man es im Haushaltsplan festgelegt hat, ich beachte die angesetzten Ruhezeiten und bin auch sonst kein Lärm verbreitender Hausgenosse, ich leere meinen Briefkasten täglich um dem Postboten kein Grund zur Klage zu liefern und beachte aufs strengste die im Mietvertrag festgelegte Mülltrennung.
Auch in meiner Wohnung gibt es keinen Anlass zu Klage, mein Mobiliar besteht lediglich aus einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und meinem Schreibtisch, an dem ich meine tägliche Arbeit zu verrichten habe, ansonsten ist nichts verändert, nicht die Tapete, nicht der Teppich, im Bad und in der Küche achte ich sorgfältig auf Sauberkeit, einzig und allein einen Nagel musste ich in die Wand schlagen um daran etwas aufhängen zu können, natürlich habe ich mich an die, für solche Arbeiten vorgesehenen, Zeiten gehalten.
Vermutlich sind wir lediglich Opfer einer Verwechslung, denn der, von Herr…, beklagte Lärm kann gar nicht aus meinem Zimmer stammen, da ich den ganzen Tag mit meiner Arbeit beschäftigt bin und mich zu Bett lege sobald die Dunkelheit ans Fenster klopft.
Ich hoffe dieser Brief wird zur Klärung des Sachverhaltes beitragen, bei weiteren Fragen bin ich nahezu jederzeit in meiner Wohnung anzutreffen.
Mit freundlichem Gruß, …
Was nachts in meiner Wohnung geschieht kann ich nicht beschreiben, wenn es Tag ist; ich hämmere Sätze in die Tastatur, die verschieden sind von der Sprache, die meine Nächte beherrscht, wenn das Papier zum Leben erwacht und sich um meinen Körper spannt, mich erdrückt, zerquetscht, mir die scharfen weißen Kanten ins Fleisch schneidet und meistens erwache ich zu spät, das Papier ist wieder in diese Schublade zurückgekehrt, ich weiß nicht wie. Ich steige zum Fußende aus meinem Bett, finde mit Leichtigkeit durch das Dickicht der gespannten Seile, warte einen kurzen Augenblick, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen können, starre aus dem Fenster, wo es nichts zu sehen gibt außer einem tiefen drückendem Schwarz und überprüfe die Schublade, die Tasse mit Nägeln und steige unter einem geflüsterten Seufzer der Erleichterung zurück in immer denselben Traum..
Ich kann nichts beweisen. Zurück, löschen. Ich kann nichts beweisen.
Die Finger lösen sich leicht von den Tasten, als wären es Vögel, die in die Luft steigen wollen, solche, wie die vor dem dreckigen Fenster, die in den Zweigen der Linde hocken und auf die Passanten herunterschauen, Vögel, die entweder ihre Federn putzen oder mit ruckartigen Kopfbewegungen mein Leben in diesem Zimmer verfolgen und ich setze mich zu ihnen ans Fenster, auf der Straße strömen einzelne Personen vorbei, Regen setzt ein und eine ganze lange Weile kommt keiner mehr, also zurück an den Schreibtisch, Betrachtung einer Postkarte, vom Staub der Jahre ins Grau gestürzte Farben, eine Handvoll liebe Worte auf der Rückseite: „Mir ist es, als trüge ich ein Kleid, Sonne, Meer und Sand, ich schaue hinaus in die schwankenden Berge.“ Meine Finger gleiten zurück auf die Tasten, ich hämmere jetzt nicht mehr, sondern lasse die Finger behutsam und leicht über die Tasten gleiten, wie zwei Eistänzer, die sich in ihren eigenen Figuren bewegen, lieben und niemals berühren.
Liebe Frau …,
dass ich erneut Opfer ihrer oder Herr … Anschuldigungen wurde, überrascht mich sehr, da ich dazu in der näheren, ja sogar in der weiteren, Vergangenheit keinen Anlass finden kann. Ich komme meinen Mieterpflichten mit äußerster Besonnenheit nach, es ist mir unerklärlich, wie Herr … darauf kommen kann, dass aus meinem Zimmer immer zur Nachtzeit lautes Gehämmer, Möbelrücken und Geplapper hörbar sei, für gewöhnlich pflege ich meine Nächte durchzuschlafen, bei Wunsch kann ich ihnen die Adresse meiner vormaligen Vermieterin zukommen lassen, sie wird es ihnen bestätigen. Ist ihnen das nicht ausreichend biete ich ihnen an, eine Nacht in der Wohnung neben mir, die leer steht, zu verbringen und sich selbst zu vergewissern.
Mit freundlichem Gruß, …
Die Nächte dehnen sich aus, verdunkeln sich weiter, wie Lackmuspapier, das langsam diesen Zustand beschreibt und ich kann die Gesichter einiger Freunde in der Dunkelheit tanzen sehen, kurz bevor ich in den Schlaf sinke, das Gesicht von Artamus, der sich ein Theaterstück ansieht, die Brillengläser: kleine Lichtteiche, das Gesicht von Lyn, die den Hausflur wischt und keucht, eine Strähne fällt ihr ins Gesicht und ich weiß, dass sie lächeln wird, wenn sie mich sieht und es wird ein Lächeln sein, wie ein aufgestoßenes Fenster in den Frühling hinaus, sie wird sich aufrichten und mit mir ein paar Worte wechseln, ihr Gesicht, ihre Haare und das Wischwasser werden vollkommen verdunstet sein, wenn das Gespräch versickert ist und ich mich in meine Wohnung schleiche; das kleine feindselige Gesicht von Herr …, das ich nicht sehen kann, aber spüre hinter seinem Türspion, das schwarze Auge, sein erschrockenes Gesicht im Hausflur, wenn ich die dicken Stapel Papier nach oben trage, dieses Gesicht, das meistens einen Schritt zurück zu weichen scheint und schnell hinter seiner Haustür verschwindet. Ich habe mir abgewöhnt ihm Grimassen zu schneiden oder mit dem Fuß auf den Boden zu stampfen, ich kann nichts beweisen.
Nächte, in denen ich versinke, ohne einen Laut oder Bewegung und es ist mir unbegreiflich woher diese Geräusche kommen könnten, nicht aus meinem Zimmer, das steht fest; ich spanne den Faden durch alle Winkel des Raumes, jeden Abend ein bisschen mehr, bis ich fast eine Minute brauche um von der Tür zum Fenster oder vom Schreibtisch ins Bett zu kommen. Ich träume immer noch diesen Traum, aber es sind im Grunde mehrere Träume, die sich nur in Bezug auf die Figur: Papier, gleichen, es schlüpft aus dem vernagelten Schubfach, legt sich auf mich, ganz sanft und für den ersten Moment ist es das Bett in dem ich immer schlummern wollte, ein süßer Traum, doch dann zieht sich das Papier zusammen, wickelt mich ein und drückt zu, treibt mir die Kanten ins Fleisch, presst mir den Atem aus den Lungen und dann kann es passieren oder nicht, je nachdem ob ich wach werde oder weiterlebe, dass ich die Kraft finde mich zu wehren, diesen Kokon, diese Larve aufzureißen imstande bin, ich schnappe mir die vielen Blätter und spanne sie in eine Schreibmaschine, die ich nicht besitze und hämmere drauf los, ohne dass sich etwas abbildet, mir fallen so viele Sätze und Zeichen ein, die es gilt in die Adern, in das Fleisch dieser weißen Masse zu schlagen, aber es bleibt nichts zurück, das Papier ist unberührt. Im Traum stoße ich die Füße an den Schreibtisch um mich abzustützen, um nicht vom Stuhl zu fallen, ich rutsche mit dem Stuhl krächzend nach hinten, stoße ans Bett, verschiebe das Bett, kralle mich an den Schreibtisch und zerre ihn hinter mir her, immer weiter die Buchstaben dahin schlagend, ohne Erfolg bis alle Wände bedeckt sind mit Blättern und ich keinen Raum mehr im Raum zum Atmen finde, ich den Schreibtisch, das Bett, den Stuhl an seinen alten Platz zurück stellen muss und vielleicht aufwachen darf.
Liebe Frau …,
sie hatten recht, sie hatten von Anfang recht, ich bin es, der diesen Lärm veranstaltet, jede Nacht, wenn ich schlafe, aber es nicht meine Schuld, man wird erkennen können, dass ich der letzte bin, dem man eine Schuld einräumen muss. Ich entschuldige mich dafür, ihr kleines Zimmerchen verunstaltet zu haben, es wird gewiss große Mühen kosten die Nägel aus den Wänden zu ziehen und das Fenster zu ersetzen, aber sie werden sich eingestehen, dass man nicht ewig auf eine Ziegelmauer starren kann und vielleicht gefällt ihnen das kleine Gemälde sogar, dass ich in langwieriger Arbeit ins Glas geritzt habe.
All diese Blätter, sie werden sich sicher wundern, all diese weißen unbefleckten Blätter, in die Wände gehämmert, bei Gott, ich habe es wirklich versucht, aber ich weiß jetzt, dass es mir nicht gelingen wird, ich werde es einfach geschehen lassen und sowie ich all meine Distanzen, den Tag und die Nacht, überwunden habe, werde ich gehen können und ich hoffe, die Strömung und das Glück werden es schaffen mich fort zu treiben, dorthin, wo ich mir selbst nicht mehr begegnen werde. Ich entschuldige mich und wünsche ihnen ein gutes Leben.
Mit freundlichem Gruß.
andrethom - 6. Apr, 14:05