II. Prädormitium
Eingang:
Deiner Lenden
Versiegtes Salz
Ich lecke
Ebene 1: Salbung
Entstehende Welten im Entstehen
Begriffen, auf meiner Haut vergeudet,
Dein Blut, das schwere muntere.
Ebene 2: Dämonen
Zirkulierend mit dem Atem
Stumme Sprachen, aufgebrochen,
Mit den Händen an deinem geil-wucherndem Grund
Geschnürt an die Stille & frei-taumelnd.
Ebene 3: Die Wüste / Das Labyrinth
Allein-Gelassen und verdörrter Adern König,
Mit Sternen auf der Zunge waltend
Über Sphären reinen Schweigens,
Gebunden an das Ketten-Kleid,
Meiner Adern, geil & wuchernd.
andrethom - 3. Mai, 20:00
Eine getötete Frau. Ein Liebender. Ein Wahnsinniger. Ein Träumer. Irgendeine Geschichte. Eine Unendlichkeit. Eine getötete Frau. Träume. Wahnsinn. Ein Liebender. In der Ferne eine Sphäre. Eine getötete Frau? Ein Liebender? Ein Wahnsinniger? Ein Träumer? Irgendeine Geschichte? Eine getötete Frau. Ein Liebender. In der Ferne, undeutlich. Blubbernder Schaum, irgendein Rest. Irgendeine Wahrheit. Irgendeine Unendlichkeit. Ein Liebender. Eine getötete Frau. In der Ferne, ganz nah.
I.
She look`d into Infinity – and knelt.
Forschend nach dem Stern,
Der deinen blanken Schlaf benetzt.
Verfluchte Worte ausgeworfen
In die dunklen Schalen deiner Augen
Ich liebte dich in luziden Geschichten.
Dich zu morden schrie ich Verse,
Tausend Nächte lang dahin gestreckt,
Mit den Händen gebunden am Grund.
Verfluchend jene Sphäre,
Die deiner Lippen Küsse stahl.
Wir werden uns vermischen, ein Kosmos sein,
Ineinander verkrallen die blanken Wunden
Unendlichen Seins.
andrethom - 2. Mai, 20:00
Dieser Satz fängt nicht an. Er will nicht.
Alle möglichen Protagonisten müssen stehen bleiben und auf diesen einen Satz warten, es geht nicht ohne ihn.
In den Gärten hört das Verwelken auf, blühende Geräusche ziehen sich zurück in die Schatten. Alle Augen bleiben offen, die Zungen nesteln stille in den Mündern, keiner sagt etwas. Nichts bewegt sich, nicht die Finger im Blumenbeet, kein Zweig an keinem Baum, nicht die vielen aufgeregten Sonnenfransen im Fischteich oder die Katze in ihrem Sprung im Traum.
Wartend stehen Schemen von Protagonisten wie auf einer Kette aufgeknüpft, die noch nicht gesponnen wurde und zerrissen ist.
Es liegt in der Luft, die Sonne. Es könnte jetzt losgehen, aber es kann nicht.
Keine Tür öffnet sich. Vielleicht liegt eine warme feingliedrige Hand auf der Klinke, aber sie bewegt nichts.
Aller Welten Atem steht still. Die Lippen sind taub und in den Kehlen verstauben Worte und Sätze.
Vielleicht sind Vögel am Himmel, ich weiß es nicht. Der Satz fängt nicht an.
Die Gläser auf den Tischen, die Gläser an den Lippen, die Gläser, ich wünschte sie zerschmetterten an allen Wänden.
Abwartende Gesichter liegen im Dunkeln, solange der Satz nicht kommt.
Keine Wörter können diesen Satz aufwiegen, keine Buchstaben fügen sich, fast zufällig, zu diesem Satz zusammen, es hat nichts damit zu tun ob irgendjemand einen Satz kennt oder aussprechen kann, nichts führt über Umwege zu diesem Satz.
Er kommt nicht.
Ein im Tanz wartendes Liebespaar streicht die Sehnsüchte von den lichtbeflügelten Schultern, ihre Blicke vermessen den Raum aller Haut und es geht einfach nicht los.
Alles könnte passieren, für alles wäre Platz und Zeit. Man könnte etwas anfangen und es wiederholen, es rückgängig machen und einen anderen Weg finden; es gäbe so vieles zu tun, so vieles verstreichen zu lassen, so vieles zu vergessen oder niemals kennen zu lernen.
Es bleibt alles übrig.
Das Warten abhandeln, es niederwarten, anzünden, ablöschen, auswringen, es genießen, es hassen, es bleibt so vieles, zum Beispiel auf das Warten zu warten.
Der Satz fängt nicht an. Er will nicht.
[August 2006]
andrethom - 28. Apr, 17:38
Gezählte Tage, wandernde Uhrzeiger, von mir weg.
Die Krümel auf dem Teller, verstreute Felsen, schroffes altes Brotgebirge.
Ascherand am Aschenbecher, schwammige Minuten, ein modriger Geruch.
(so geht das nicht weiter so geht das nicht weiter)
Vergessene Schlüssel in der Schale mit Staub und matten Münzen.
Licht im Glas, flackernde
müde, trunken, zauberhaft,
(so geht das nicht weiter so geht das nicht)
Vanillekerze Tindra, alter Geruch, schwer und rauchig.
Der Telefunken Plattenspieler, Rotation, in die Ferne.
Das Rauchen-kann-tödlich-sein, leere Schachtel, auch das ist übrig.
(das geht für immer so weiter)
Schmerzende Hände, klebrige Worte, Nester aus Versen.
Schwebende Musik am Grund und bei den Sternen,
Alle Vergangenheit und Zukunft.
Die Seele des Regens, am Fenster, perspektiven-
brechend, hinaus ins Dunkel.
Das ist ein ziemlich altes Gedicht, leider kann ich nicht mehr rekonstruieren wann ich es geschrieben habe. Heute jedoch zu dieser Form bearbeitet.
andrethom - 19. Apr, 16:26
Wenn ich zu irgendeiner Tageszeit durch die Straßen streife, wird es immer die Suche nach dir sein, Leonie, die mich vom Weg abbringt, ein einzelner Windhauch, der wie ein Boot deinen Geruch zu mir heranträgt und immer werde ich über die Umwege meiner Erinnerung auf Ecken und Hinterhöfe treffen, in denen wir unsre Blicke durchs Dickicht belauschten und unsre Münder endlos sich in diesem Sommer verfingen; diese Tageszeiten, in denen die Stadt sich ganz in ihre Schatten zurückzieht und ich hinter der nächsten Straßenecke deine Sprache vermute, eine Kindersprache, aus deinem Sein erwachsene Wörter, die immer zum ersten Mal werden benutzt sein, wenn dein Mund sie geküsst hat.
Und immer wird die Nacht vom Horizont übers Land herfallen und mich zurücklassen zwischen den Räumen dieser Stadt, es werden fremde Orte sein, an denen ich nie gewesen bin und so schleiche ich zurück durch den atmenden Korridor lauernder Hausfassaden, treffe auf Passanten, die wie ich, nach einem Ausweg suchen, erleichtert, fast befreit, vom elektrischen Licht, das wässrig den Asphalt bekniet; Leonie, im Schaukelstuhl zu sitzen, betrachtend im Fenster ein halbes Spiegelbild, betrachtend, Leonie, deinen Schlaf, in deiner Brust, der diesen Atem schmiedet, der mir immerfort begegnen wird in den Gassen dieser Stadt, den Märkten, Passagen und Träumen.
Und nicht nur dort begegne ich deinem Rest, auch in meiner Kleidung, der Jacke, all den Taschen, in denen du, für einen unachtsamen Moment nur, gelebt hast, Taschen, in denen du deine Briefe, deine Sprache, zurückgelassen hast, „Nimm die Straßenbahnlinie …, an einer Ecke vor der Haltestelle … wirst du einen Blumenladen finden, ein akribisch arrangiertes Farbensemble“, und ich weiß nicht mehr, ob ich sie gesehen habe, diese Blumen, denn deine Stadt hatte keine Namen, keine Straßen, keine Anhaltspunkte, „Sieh mal, die Sonne lauert über den Dächern und die Schatten auf dem Platz formieren eine stumme Nachricht“, es sind diese Orte, zurückgelassen in einem Brief, einem Zettel, sorgsam in einer Kiste verwahrt, meinen Taschen oder zwischen den Buchseiten, weil du wusstest, es ist wichtig, dass sie gefunden werden, wie ein Schatz, Perlen, die ich in meinen Fingern zerreibe, aber die Sprache bleibt, die Momente verschwinden nicht so einfach, wie du hinter der nächsten Kreuzung, wo ich hoffentlich diesen Blumenladen finde, den es vielleicht nie gegeben hat oder ein Rest von dem, was in dieser Stadt, von dir, Leonie, geblieben ist.
Wieder ist es eine dieser Stundenwinde, der sich meiner bemächtigt und meinen Schritt in eine andere Straße lenkt, vom Wege abbringt, den zu gehen mein Ziel war; ein altes verfallenes Fabrikgelände, rotes Gestein, vom Rost ins rot getriebene Rohre, verstaubte Fenster, in die ich kleine Botschaften in einer, mir fremden, Sprache zeichne, deine Sprache und es ist zwecklos, diese armseligen kleinen Linien, Kurven, Schleifen zu ziehen, dies ist keiner von deinen Orten, nichts weist auf dich hin und plötzlich geschieht eine kleine, kaum wahrnehmbare Lichtveränderung und es wird mir klar, dass nicht du es bist, die ich gesucht hatte, all die Tageszeiten; rotes Gestein, dieser Rost, das ist mein Ort, meine Sprache, die ich, wenn auch nicht verstehen, so doch atmen, durch mein Herz pumpen kann, Leonie, hier und in dieser Stunde, dem veränderten Licht, zerbricht etwas, dass einmal der Weg gewesen muss, den zu gehen mein Ziel ist.
andrethom - 19. Apr, 16:04
This midnights rotten dream: flüsterst du, erinnerst du dich, hauchst es hinaus in den halbdunklen Raum, nicht eigentlich halbdunkel, sondern zwischen beiden Extremen angesiedelt: durchschneidende Flächen aus Licht und schwarze, mit Rauch angefüllte Schatten und du flüsterst, hauchst, krächzt mit dieser Stimme, dieser uralten Stimme: this midnights rotten dream.
René wünscht sie sich mehr als alles andere in der Welt, Marie, diese Nachtgöttin, ein Sommertag, 4 Uhr früh, zwischen den Zweigen aus blauem Zigarettenrauch, die durch den Raum mäandern, Geisterhände oder Brücken oder was-auch-immer und ich hole mir lieber noch ein Glas von diesem ekelhaft süßem Gesöff, René, dein Gesicht ist ja nicht zu ertragen und natürlich ist sie schön, unglaublich schön sogar, alle glotzen und sie tanzt, als würde sie nicht merken, dass sie in diesem Moment eine absolute Unglaublichkeit ist, ein Zentrum um das die Begierde revolutioniert, als wäre sie in diesem Moment nur sie selbst und nichts anderes, keine Göttin oder Hure oder Materie, all dieser Schablonen entledigt oder eine Symbiose aus allen Masken, ein mit sich selbst vermählter Spiegel, vermischt, zusammen geschmettert, weil 4 Uhr früh, weil dieses ekelhafte gelbe süße Gesöff, dieser zuckrige Zungenfick, alles andere fortgeschwemmt hat, außer die Blicke, außer diese Wünsche, die alle nur auf eines hinaus laufen, etwas, dass keiner bekommen kann, nicht einmal sie selbst.
Und Marie zog sich aus und was zum Vorschein kam war unendlich und Sein war alles was ich wollte und in ihr sein ganz speziell und das Haus stand leer im Dunkeln und ein Schatten verschnürte im Flur das Licht und alle Jahre und Marie zog sich aus und was zum Vorschein kam war so alt wie diese Welt und im Flur stand ein Dunkel ganz still und eine Spinne spannte ein Netz unvergänglicher Sekunden und Marie zog sich aus und zum Vorschein kamen all die Schatten und mich zu holen schlief ich ein im Sessel.
In diesem Raum verschnürt, dem Verhältnis von Licht und kein Licht, Rene schlief und ich saß im Sessel, der dort stand, wo kein Licht war, genauer gesagt, direkt an der Grenze zum Licht, parallel dazu verlaufend und der Rauch meiner Zigarette wuchs zu Felsen, ganzen Gebirgszügen auf, ich fragte mich, ob ich onanieren wolle, aber es gab keinen Grund, nur die Frage und sie war leer, ohne Ursprung, Inhalt oder Antwort, nicht wie das Verhältnis von Licht und kein Licht, dessen ich mir jedenfalls sicher war. Oder das Verhältnis von Stille zum Ton und für einen Moment wusste ich nicht, wo der Unterschied lag, warum es zwei Worte waren und im Grunde beschrieb das die Situation ziemlich genau, es war ein Heidenlärm, Rene, der still schlief und das Verhältnis von Licht und Ton und Stille und kein Licht.
Nun ziehst du dich zurück in die Höhlen dieses Raumes/ this midnights rotten dream/ und willst nicht gefunden werden, aber sprechen können, mit überschüssiger Kraft ein wenig ins Leben hinein quatschen, du, Bacchus müder Sohn, Sommertraube; aber ich würde mich selbst belügen, dich auch nur einen Augenblick weiter in diesem Gefüge hängen zu lassen, ich mag dich nicht, du bist nichts besonderes, nur eine weitere dieser verlorenen Seelen, die aus Angst oder Traurigkeit oder schierem peinerfülltem Bewusstsein um das Nichts durch die Welt rasen, durch die Nacht, ein trauriger Tiger, ja, aber es wird niemanden geben, der deine Geschichte erzählt, sie wieder und wieder erzählt und Seite um Seite dein Schicksal wendet.
Sehr eng dieser Tag, so dass man sich kaum bewegen kann, dahin gehängt in den Raum wie die Grenzen zwischen Sonnenlicht und nachtschwarzen Schatten und noch enger dein rasselnder Atem (schläfst du?). In den Trümmern des Hauses in den Trümmern eines Hinterhofes. Ein zerfetztes Sofa und ein verwesender Sessel und wir mittendrin oder besser: genau darauf und was durch den Raum peitscht sind Erinnerungen wie Wüstenwinde und ein Geruch nach Urin von Tieren, die sich womöglich im Dunkeln an uns herantasten. Tiere mit riesigen Klauen und Augen wie meine Abgründe. Ich warte auf diese Monster oder ein Gespräch, das vielleicht stattfinden könnte, wenn nicht dieses große illuminierende Gespinst Marie über uns hängen und ihre Haare nach oben stecken und dabei Nacken und ihre Achselhöhlen entblößen würde.
Gescheiterter Versuch einer Penetration der Dunkelheit, keine Ratte zu finden, überall Abgründe und ich sehne mich nach jedem Geräusch des verreckenden Sessels und suhle mich heimlich in den fast schon materialisierten Ausschweifungen meiner Gedanken. /Poesie!, Marie!, Poesie!, Lust!, Ejakulation!, Marie!/ René ist mir scheissegal oder tot.
This midnights rotten dream: flüsterst du, erinnerst du dich, hauchst es hinaus in den total verdunkelten Raum in dem wir uns befinden, aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob das für uns überhaupt noch Bedeutung haben kann. Alles ist fremd und ich befühle erstaunt das abgewetzte Material des Sessels, dann meine eigenen Hände, mein Gesicht, Penis und Dunkelheit. Ich bin mir wirklich nicht mehr sicher, aber traue mich nicht, es dir mitzuteilen. Womöglich weißt du das. René, wir sind nicht mehr.
andrethom - 16. Apr, 17:39
Am offenen Fenster schweigen die Augen
in die ich sehe aus der Ferne hinein mit dem Licht
in dem Raum wo wir uns verlassen
klingt dösend ganz still ein Himmel bevölkert mit Träumen
so beständig so frei von Gedanken
Der Arm auf dem Fensterbrett in der Sonne so warm
in der ich lüstern mein Herz befühle
im Boden der aufgebrochenen Narbe
klingt dösend ganz still eine Geburt & ein Tod
Am offenen Fenster sitzen wir alle
in die wir sehen geöffneten Blicks hinein wo Phantasmen
wimmeln und klingen mit Freude mit Gesumm und Dreck
mit blühenden Wunden wie Lust und wie Zeit.
andrethom - 6. Apr, 16:21
Es klopft an die Tür und ich weiß, es ist ein Traum. Ich hämmere diesen Satz in die Tastatur, lösche ihn und schlage erneut drauf los: Ein Klopfen an der Tür, ein Traum. Zurück, löschen.
In der Schublade klopft ein Traum und ich weiß, es ist eine Tür. Meine Finger schmerzen, ich zerknirsche meinen Kiefer, mahle mir die ersten kleinen Körner auf der Zunge, die sich im Zahnfleisch vergraben, das ebenfalls blutet. In die Tasten zu hämmern, entgegen dem Wunsch etwas nicht zu hämmern, sondern zu schreiben, einen Satz zu schreiben ohne Schmerzen, ohne die Last all der verstaubten satzlosen Stunden, aber es ist verflucht, es ist unerträglich, mit jedem Trommeln glühen die Finger ein wenig mehr diesen weißen grellen Schmerz und meine Zähne mahlen sich eine große warme Nähe. Es ist ein Traum in der Schublade, er klopft an die Tür und ich weiß.
Ich schreibe mit Blick auf die Wand, es muss einfach sein, mit dem Rücken einem kahl möblierten Zimmer entgegen, das Zimmer mit den dreckigen Wänden, in den oberen Ecken vom Nikotin vergilbt, die Ecken, in denen Spinnweben hängen, aber ich habe nie Spinnen gesehen, Spinnen, die wahrscheinlich in den Rissen der Fassade, der Tapete, hausen, in den Nächten, wenn an der Zimmerdecke Lichter verstreichen von vereinzelten Autos, Nachtschatten, keine Spinnen wohlgemerkt und diese dreckigen Wände, wenn ich im Bett liege, von allen Orten gleichermaßen entfernt und auf den Schreibtisch schauen kann, vom Dunkel der Nacht verhängt, der Schreibtisch knarrt ganz leise, leise, wie all die Geräusche in der Nacht, scharf zerschneidend den aufkommenden Schlaf, diese warmen sanften Wände, eine wässrige Umarmung und ich kann diese Wände sehen, wenn ich schreibe, die dreckige Tapete ohne Muster und dort alles finden, ich kann an einem rostigen Nagel, den ich dort hinein geschlagen habe, meine Gedanken aufhängen oder Postkarten, die ein paar matte Träume aufstoßen, eine Insel in der Südsee, Welcome to …, unbewohnte Bilder; ich kann ein Seil spannen von diesem Nagel zur Türklinke und von der Türklinke hinüber zum Fenster und zurück zum Nagel, ich sitze in diesem Dreieck und warten auf die ersten Zeilen der Nacht, das raschelnde Papier in der Schublade, kleine Geräusche, die wie Spinnen in mein Ohr kriechen, wenn das Papier erwacht und flüstert, die Sprache der Baumkronen, auf mich zu gekrochen kommt, über den Teppich, die Bettpfosten hinauf, die Decke und ich schreiend erwache, das Papier, das dort lauert im Schubfach, auf der rechten Seite ganz oben, das Schubfach, das ich des Nachts vernageln muss und ein Seil spannen, vom Nagel zur Tür, zum Fenster, zu beiden Bettpfosten, zum Stuhl, zur Schublade, zur Kaffeetasse am Rand des Schreibtisches, gefüllt mit Geldmünzen, zurück zum Nagel in der Wand und vielleicht ist es nur damit all die Stunden, die sich in diesem Netz verheddert haben nicht gehen können.
Liebe Frau …,
nachdem sie diesen Brief bis zu seinem Ende gelesen haben, werden sie feststellen, dass ich ein vortrefflicher Mieter bin, ich behandle ihre Wohnung mit äußerster Vor- und Umsicht und es gäbe keinen haltbaren Grund, warum sie dem Mieter, Herr …, glauben schenken sollten und mir den Mietvertrag kündigen. Ich lebe nun seit einem halben Jahr in der, von ihnen gestellten, Wohnung und bin seitdem all meinen Pflichten im Hause nachgekommen, ich habe den Flur und die Treppen gewischt, wie man es im Haushaltsplan festgelegt hat, ich beachte die angesetzten Ruhezeiten und bin auch sonst kein Lärm verbreitender Hausgenosse, ich leere meinen Briefkasten täglich um dem Postboten kein Grund zur Klage zu liefern und beachte aufs strengste die im Mietvertrag festgelegte Mülltrennung.
Auch in meiner Wohnung gibt es keinen Anlass zu Klage, mein Mobiliar besteht lediglich aus einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und meinem Schreibtisch, an dem ich meine tägliche Arbeit zu verrichten habe, ansonsten ist nichts verändert, nicht die Tapete, nicht der Teppich, im Bad und in der Küche achte ich sorgfältig auf Sauberkeit, einzig und allein einen Nagel musste ich in die Wand schlagen um daran etwas aufhängen zu können, natürlich habe ich mich an die, für solche Arbeiten vorgesehenen, Zeiten gehalten.
Vermutlich sind wir lediglich Opfer einer Verwechslung, denn der, von Herr…, beklagte Lärm kann gar nicht aus meinem Zimmer stammen, da ich den ganzen Tag mit meiner Arbeit beschäftigt bin und mich zu Bett lege sobald die Dunkelheit ans Fenster klopft.
Ich hoffe dieser Brief wird zur Klärung des Sachverhaltes beitragen, bei weiteren Fragen bin ich nahezu jederzeit in meiner Wohnung anzutreffen.
Mit freundlichem Gruß, …
Was nachts in meiner Wohnung geschieht kann ich nicht beschreiben, wenn es Tag ist; ich hämmere Sätze in die Tastatur, die verschieden sind von der Sprache, die meine Nächte beherrscht, wenn das Papier zum Leben erwacht und sich um meinen Körper spannt, mich erdrückt, zerquetscht, mir die scharfen weißen Kanten ins Fleisch schneidet und meistens erwache ich zu spät, das Papier ist wieder in diese Schublade zurückgekehrt, ich weiß nicht wie. Ich steige zum Fußende aus meinem Bett, finde mit Leichtigkeit durch das Dickicht der gespannten Seile, warte einen kurzen Augenblick, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen können, starre aus dem Fenster, wo es nichts zu sehen gibt außer einem tiefen drückendem Schwarz und überprüfe die Schublade, die Tasse mit Nägeln und steige unter einem geflüsterten Seufzer der Erleichterung zurück in immer denselben Traum..
Ich kann nichts beweisen. Zurück, löschen. Ich kann nichts beweisen.
Die Finger lösen sich leicht von den Tasten, als wären es Vögel, die in die Luft steigen wollen, solche, wie die vor dem dreckigen Fenster, die in den Zweigen der Linde hocken und auf die Passanten herunterschauen, Vögel, die entweder ihre Federn putzen oder mit ruckartigen Kopfbewegungen mein Leben in diesem Zimmer verfolgen und ich setze mich zu ihnen ans Fenster, auf der Straße strömen einzelne Personen vorbei, Regen setzt ein und eine ganze lange Weile kommt keiner mehr, also zurück an den Schreibtisch, Betrachtung einer Postkarte, vom Staub der Jahre ins Grau gestürzte Farben, eine Handvoll liebe Worte auf der Rückseite: „Mir ist es, als trüge ich ein Kleid, Sonne, Meer und Sand, ich schaue hinaus in die schwankenden Berge.“ Meine Finger gleiten zurück auf die Tasten, ich hämmere jetzt nicht mehr, sondern lasse die Finger behutsam und leicht über die Tasten gleiten, wie zwei Eistänzer, die sich in ihren eigenen Figuren bewegen, lieben und niemals berühren.
Liebe Frau …,
dass ich erneut Opfer ihrer oder Herr … Anschuldigungen wurde, überrascht mich sehr, da ich dazu in der näheren, ja sogar in der weiteren, Vergangenheit keinen Anlass finden kann. Ich komme meinen Mieterpflichten mit äußerster Besonnenheit nach, es ist mir unerklärlich, wie Herr … darauf kommen kann, dass aus meinem Zimmer immer zur Nachtzeit lautes Gehämmer, Möbelrücken und Geplapper hörbar sei, für gewöhnlich pflege ich meine Nächte durchzuschlafen, bei Wunsch kann ich ihnen die Adresse meiner vormaligen Vermieterin zukommen lassen, sie wird es ihnen bestätigen. Ist ihnen das nicht ausreichend biete ich ihnen an, eine Nacht in der Wohnung neben mir, die leer steht, zu verbringen und sich selbst zu vergewissern.
Mit freundlichem Gruß, …
Die Nächte dehnen sich aus, verdunkeln sich weiter, wie Lackmuspapier, das langsam diesen Zustand beschreibt und ich kann die Gesichter einiger Freunde in der Dunkelheit tanzen sehen, kurz bevor ich in den Schlaf sinke, das Gesicht von Artamus, der sich ein Theaterstück ansieht, die Brillengläser: kleine Lichtteiche, das Gesicht von Lyn, die den Hausflur wischt und keucht, eine Strähne fällt ihr ins Gesicht und ich weiß, dass sie lächeln wird, wenn sie mich sieht und es wird ein Lächeln sein, wie ein aufgestoßenes Fenster in den Frühling hinaus, sie wird sich aufrichten und mit mir ein paar Worte wechseln, ihr Gesicht, ihre Haare und das Wischwasser werden vollkommen verdunstet sein, wenn das Gespräch versickert ist und ich mich in meine Wohnung schleiche; das kleine feindselige Gesicht von Herr …, das ich nicht sehen kann, aber spüre hinter seinem Türspion, das schwarze Auge, sein erschrockenes Gesicht im Hausflur, wenn ich die dicken Stapel Papier nach oben trage, dieses Gesicht, das meistens einen Schritt zurück zu weichen scheint und schnell hinter seiner Haustür verschwindet. Ich habe mir abgewöhnt ihm Grimassen zu schneiden oder mit dem Fuß auf den Boden zu stampfen, ich kann nichts beweisen.
Nächte, in denen ich versinke, ohne einen Laut oder Bewegung und es ist mir unbegreiflich woher diese Geräusche kommen könnten, nicht aus meinem Zimmer, das steht fest; ich spanne den Faden durch alle Winkel des Raumes, jeden Abend ein bisschen mehr, bis ich fast eine Minute brauche um von der Tür zum Fenster oder vom Schreibtisch ins Bett zu kommen. Ich träume immer noch diesen Traum, aber es sind im Grunde mehrere Träume, die sich nur in Bezug auf die Figur: Papier, gleichen, es schlüpft aus dem vernagelten Schubfach, legt sich auf mich, ganz sanft und für den ersten Moment ist es das Bett in dem ich immer schlummern wollte, ein süßer Traum, doch dann zieht sich das Papier zusammen, wickelt mich ein und drückt zu, treibt mir die Kanten ins Fleisch, presst mir den Atem aus den Lungen und dann kann es passieren oder nicht, je nachdem ob ich wach werde oder weiterlebe, dass ich die Kraft finde mich zu wehren, diesen Kokon, diese Larve aufzureißen imstande bin, ich schnappe mir die vielen Blätter und spanne sie in eine Schreibmaschine, die ich nicht besitze und hämmere drauf los, ohne dass sich etwas abbildet, mir fallen so viele Sätze und Zeichen ein, die es gilt in die Adern, in das Fleisch dieser weißen Masse zu schlagen, aber es bleibt nichts zurück, das Papier ist unberührt. Im Traum stoße ich die Füße an den Schreibtisch um mich abzustützen, um nicht vom Stuhl zu fallen, ich rutsche mit dem Stuhl krächzend nach hinten, stoße ans Bett, verschiebe das Bett, kralle mich an den Schreibtisch und zerre ihn hinter mir her, immer weiter die Buchstaben dahin schlagend, ohne Erfolg bis alle Wände bedeckt sind mit Blättern und ich keinen Raum mehr im Raum zum Atmen finde, ich den Schreibtisch, das Bett, den Stuhl an seinen alten Platz zurück stellen muss und vielleicht aufwachen darf.
Liebe Frau …,
sie hatten recht, sie hatten von Anfang recht, ich bin es, der diesen Lärm veranstaltet, jede Nacht, wenn ich schlafe, aber es nicht meine Schuld, man wird erkennen können, dass ich der letzte bin, dem man eine Schuld einräumen muss. Ich entschuldige mich dafür, ihr kleines Zimmerchen verunstaltet zu haben, es wird gewiss große Mühen kosten die Nägel aus den Wänden zu ziehen und das Fenster zu ersetzen, aber sie werden sich eingestehen, dass man nicht ewig auf eine Ziegelmauer starren kann und vielleicht gefällt ihnen das kleine Gemälde sogar, dass ich in langwieriger Arbeit ins Glas geritzt habe.
All diese Blätter, sie werden sich sicher wundern, all diese weißen unbefleckten Blätter, in die Wände gehämmert, bei Gott, ich habe es wirklich versucht, aber ich weiß jetzt, dass es mir nicht gelingen wird, ich werde es einfach geschehen lassen und sowie ich all meine Distanzen, den Tag und die Nacht, überwunden habe, werde ich gehen können und ich hoffe, die Strömung und das Glück werden es schaffen mich fort zu treiben, dorthin, wo ich mir selbst nicht mehr begegnen werde. Ich entschuldige mich und wünsche ihnen ein gutes Leben.
Mit freundlichem Gruß.
andrethom - 6. Apr, 14:05
Die weiße Tür öffnet mich
Dahinter steht nichts fest
Blitze stelzen auf Donnerbeinen und
1 Kind schläft in 1 Regenschirm
Aus den Pfützen steigen Wellen
Wie aus dem Weißen tiefes Blau
Meine Haut befühlt sich selbst und
Blicke steigen zurück in die Baumkronen
Weit über dem Boden 1 nette alte Dame
Verpasst die Bahn und lacht
Mir kichern Tränen in den Taschen
Diese Geschichten wie kleine Inseln
Der Weg begeht sich selbst
zu 1 Frau mit 1 Teich bekleidet
In der Schale ihres Spiegelbildes
Waschen Wolken ihr Gewand
In weiter Ferne steht die Nähe
1 singendes Kind
Meine Augen trällern Abendlieder
der Mond tritt auf, im Saal wird’s still
Diese Tür öffnet mich
Das Flurlicht steigt auf Treppen durchs Haus
An den schwarzen Häusern lehnt der Wind
Und will vorbei
Seltsamer Tag. Ich war in meiner Festplatte auf der Suche nach einem Gedicht über Rimbaud, das ich aus Teilen seiner berühmten Briefe zusammenbastelte, leider scheint es verlorengegangen zu sein, als ich meinen neuen Computer einrichtete, dafür fand ich aber dieses Gedicht, das mir im ersten Moment völlig fremd vorkam, es ist aber eindeutig aus meiner Feder. Nun denn, dann eben das, in der vorgefunden Form, leicht überarbeitet
andrethom - 31. Mär, 20:22
Schreiben ist die zweite hinter der ersten Wahrnehmung, ein deutlich machen der zu verarbeitenden Gegenstände. Meist gehe ich den Umweg über Details um etwas zu schreiben. Es gibt keine anderen Mechanismen, die mir deutlicher sagen, das bist du oder die mich mehr fühlen lassen, wer ich bin und wie der Weg beschaffen ist auf dem ich vorwärts schreite.
Ich gewichte die Welt in meinem Werk nach meinem Gutdünken, es ist nicht alleine der Schaffensprozess, der mich antreibt, sondern ein Arbeiten an der Welt, die ich abbilde. Dabei will ich wie ein Maler den Pinsel durch die Welt führen und an jedem Baum zeichnen bis er mich beschenkt mit seinem Wesen. Ich male die Straßen in die Welt und Häuser, an meinem Duktus wird man mich erkennen, den ich nicht geschaffen habe, sondern er mich. Im Schreiben werde ich erschaffen. Es geht nur von Buchstabe zu Wort zu Satz, mit jedem Teilsatz und Vers füge ich etwas zu mir hinzu. Ich fühle mich in jedem meiner Werke zuhause und sehne mich doch nach Vollständigkeit. So verlasse ich ein Gedicht, wenn ich nicht mehr daran arbeite um in ein neues zu ziehen und es mir herzurichten. So sind alle meine Werke leere Häuser, in die ich gehe, wenn ich einsam bin und mich fremd fühlen will.
vom 9. August 2005
andrethom - 29. Mär, 19:59